2 Monate als Uchideshi in Nippon Kan

by Thomas FenderlAm Nachmittag des 31. Oktober 2005 kam ich am Busbahnhof von Denver an und erreichte nach einem nicht allzulangen Fussmarsch den Hintereingang von Nippon Kan. Wenig spaeter begruesste mich Jason, der bereits seit einigen Wochen dort lebte, und zeigte mir das Gebaeude. Das Japanische Haus, so lautet die Uebersetzung, ist ein Kulturzentrum mit Aikidodojo, Museum und Restaurant, welches von Gaku Homma Sensei 1978 gegruendet wurde. Ich hatte mich als deutscher Student in einem japanischen Dojo in den USA fuer ein dreimonatiges, intensives Uchideshi – Program beworben (Uchideshi = im Dojo lebender Schueler).
Die ersten Wochen waren natuerlich sehr verwirrend. Obwohl ich ueber etwas Aikidoerfahrung verfuege und verschiedene Schulen besuchte, ist das Dasein als Uchideshi eine ganz andere Sache. In den ersten Tagen wurde ich weitgehend mir selbst ueberlassen und bekam keine Aufgaben zugeteilt. Meine Angebote den beiden anderen Uchideshi oder wem auch immer zu helfen, wurden generell zurueckgewiesen. Also befasste ich mich mit Homma Senseis Buch “Aikido Sketch Diary – Dojo 365 Days“, welches mir half, ein wenig zu verstehen. Ich uebte mich in Geduld und verfolgte aufmerksam das Geschehen um mich herum. Nach einigen Tagen bekam ich erste Aufgaben von der taeglich abzuarbeitenden Liste von Jason zugeteilt: Reinigung von Kueche, Bad und Fernsehzimmer. Wie fuer nahezu alle Taetigkeiten im Uchideshileben gibt es dafuer keine Anleitung. Es gilt den eigenen Kopf zu benutzen. “Kufu“ ist ein Schlagwort und bedeutet etwa “gesunder Menschenverstand“. Obwohl ich ueber eine gewisse Putzerfahrung verfuege, traf ich immer wieder auf neue Herausforderungen wie im Museum, wo alles wieder an seinen Platz soll und erst recht nichts beschaedigt werden darf, oder bei bestimmten Reparaturarbeiten, weil sich meine Heimwerkererfahrung in Grenzen haelt.
Nun war anfangs von der japanischen Kampfkunst Aikido die Rede und natuerlich trainiere ich auf der Matte. Wie bereits angedeutet, macht dies nicht das ganze Uchideshileben aus, nimmt aber trotzdem einen wesentlichen Platz ein. Homma Sensei selbst war Uchideshi beim Aikidobegruender Morihei Ueshiba.Wir trainieren taeglich fuer mindestens eine Stunde allein oder manchmal unter uns Uchideshi. Des Weiteren gibt es eine Stunde nur fuer uns, gehalten von sehr erfahrenen Dojomitgliedern. Fuer gewoehnlich nehmen wir zudem an allen Unterrichtseinheiten des offiziellen Stundenplans teil. Fuer mich war es positiv, am unteren Ende der Dojohirarchie zu sein, da ich so nichts beweisen musste und mich ganz auf das Training konzentrieren konnte. Erstaunt war ich ueber die Variationen der Techniken von Sempai zu Sempai (= Fortgeschrittener) und ueber manche unterschiedlichen Gepflogenheiten waehrend des Unterrichts. Es faellt mir oft nicht leicht, den jeweiligen Lehrer zu kopieren, aber mit der Zeit gelingt es mir mehr und mehr, mich auf Neues einzulassen. Nach fast 8 Wochen durfte ich dann zweimal versuchen zu unterrichten. Natuerlich war dies mit einiger Nervositaet verbunden. Wie auch immer ich ueberstand es und bekam sehr hilfreiche Kritik von Sensei.

Besonders ist in Nippon Kan ebenfalls, dass der Jahresablauf mit seinen Festen denen eines traditionellen japanischen Dojos entspricht. Ich schaetze mich gluecklich, um Neujahr Uchideshi zu sein. Aussergewoehnliche Erlebnisse waren das letzte Training des Jahres (Keiko osame), der Jahreswechsel im kleinen Kreis, sowie der eigentliche Beginn des neuen Jahres mit Keiko Hajime. Fuer all dies wurde das Dojo noch gruendlicher geputzt und aufwendig geschmueckt. Am 3. Januar wurde ein grosses Fest als Dankeschoen fuer Homma Sensei organisiert. Es war sehr beeindruckend, wenn auch Partys im Dojo immer viel Arbeit fuer die Beteiligten und natuerlich die Uchideshi bedeuten.

Ein weiterer Hoehepunkt waehrend meiner 8 Wochen im Dojo war ein Seminar mit Maruyama Sensei, einem der Aikidopioniere in den USA. Homma Sensei zeigte sich als hervorragender Gastgeber, der es dem Gast aus Nagano und seinen Begleitern an nichts fehlen liess. Wir Uchideshi bekamen dadurch natuerlich nicht viel Schlaf, da alles vorbereitet und geputzt werden musste. Besonders Jason als unser Dienstaeltester war im Einsatz, weil er mit den Gaesten ebenfalls kleine Ausfluege in die Umgebung unternahm und im allgemeinen fuer den Transport zustaendig war. Schliesslich war es fuer alle ein tolles Erlebnis und wir freuten uns sehr ueber die zufriedenen Gaeste.

Ein wesentlicher Beweggrund fuer mich, nach Colorado zu kommen, war das ebenfalls von Homma Kancho gegruendete AHAN (Aikido Humanitarian Active Network), welches sowohl in Denver als auch international wie in der Mongolei, Nikaragua oder der Tuerkei, um nur wenige Beispiele zu nennen, arbeitet. Zwei Mal nahm ich bisher am monatlichen Homeless Dinner teil. Homma Sensei verteilt dabei mit einem aeusserst effektiven Freiwilligenteam an jedem dritten Sonntag des Monats um die 300 Abendessen. Insgesamt kamen in den letzten Jahren um die 40000 Mahlzeiten zusammen, was ich sehr beeindruckend finde. Derzeit bereite eine andere Freiwilligengruppe gespendente Computer fuer ein mongolisches Waisenhaus vor. Die beiden genannten Beispiele sind nur ein Bruchteil der AHAN – Arbeit und ich bin begeistert fuer eine kurze Zeit dabei helfen zu duerfen und vom enormen Know-How der Nippon Kan Leute zu profitieren.

Die vorangehenden Absaetze sind nur Splitter meines Alltags, der zudem noch gelegentliche Arbeit im japanischen Restaurant und oft ausserplanmaessige Aktivitaeten enthaelt. So schickte Homma Sensei uns Uchideshi fuer einen Tag zum Skifahren in die Rocky Mountains oder er laedt uns hin und wieder zum koreanischen Barbecue ein. All dies zeigt, wie eindrucksreich das Leben in Nippon Kan ist. Dem entsprechend lerne ich unglaublich viel ueber amerikanische wie auch japanische Kultur. Man stelle sich Amerikaner vor, die ein japanisches Restaurant besuchen oder eine fernoestliche Kampfkunst betreiben. Mein Englisch wird besser und mein Aikido bekommt ebenfalls Auftrieb. Natuerlich ist Lernen manchmal ein schmerzhafter Prozess, der oft nur durch Fehler moeglich wird. Es gibt in Nippon Kan kaum direkte Anweisungen wie etwas zu tun ist. Die Korrektur erfolgt erst, wenn etwas schief lief und kommt dann meist in Form von Aerger. Ausserdem heisst Neues Lernen ebenfalls Loslassen von Altbewaehrtem und es ist nicht leicht, eine fast instinktive Technik oder Ueberschlagsrolle bewusst zu veraendern. Obwohl ich darin eine Herausforderung sehe, meinen Stil nach Wunsch zu aendern, ist das Unvermoegen Unterschiede begreifen oder umsetzen zu koennen, mitunter frustrierend. Erfolgsmomenten folgen tiefe Enttaeuschungen. Nichts ist sicher, alles staendig in Veraenderung begriffen. Dies beschreibt mein Gefuehl, mit dem ich jeden neuen Tag als Uchideshi beginne und versuche, so aufmerksam wie moeglich zu sein.

Dieser kleine Bericht beschreibt in kurzer Form, wie intensiv meine Zeit hier ist. Meine ersten zwei Monate hier waren nicht immer leicht, trotzdem bereue ich in keiner Weise am Nippon Kan Uchideshiprogramm teilzunehmen und kann es nur weiterempfehlen. Nachdem Jason seine Zeit als Uchideshi vor ein paar Tagen beendete, sind im Moment nur Mike und ich hier. Bald kommt jedoch ein neuer Uchideshi und dies bedeutet eine weitere grosse Herausforderung fuer uns, da wir gute Vorbilder sein muessen, ohne ihn zu belehren. Wir sind dafuer verantwortlich, dass er mit seinen Qualitaeten darauf vorbereitet wird, das Dojo zu hueten und auf Sensei acht zu geben.